Naturhistorisches Museum Bern, Weltuntergang Plakat
Naturhistorisches Museum Bern, Weltuntergang Gefahrensymbol reizend

Weltuntergang – Ende ohne Ende (11. November 2017 – 13. November 2022)

Naturhistorisches Museum Bern

Die Geschichte vom Weltuntergang ist eine menschliche Erfindung, uralt und brandaktuell. Gewaltige Naturkatastrophen, Kriege oder Umweltzerstörungen liefern den Nährboden für Ängste und Erklärungsversuche. Die Ausstellung versammelt Bilder, Funde und Erzählungen aus Wissenschaft und Kunst.

In sieben thematischen Räumen zum Thema Weltuntergang wurde ein weiter Bogen geschlagen – von sachlicher Analyse über Prophezeiungen und Spekulationen bis zu offener Lust am Untergang. Das so erzeugte Wechselbad konfrontierte die Besucherinnen und Besucher mit eigenen Vorstellungen und Erfahrungen. Wer sich hier treiben liess, mochte sich zwischen Natur und Kultur, Menschenleben und Universum, Bestätigung und Verunsicherung durchaus verlieren.

Entwickelt wurde «Weltuntergang» gemeinsam mit Heller Enterprises, Zürich. Die Szenografie stammte von Holzer Kobler Architekturen, Zürich.

Die sieben Räume: Ein Gang durch die Ausstellung

Das Vorspiel: Die Treppe

Der Zugang zur Ausstellung beginnt für alle, die nicht den Lift nehmen, im Erdgeschoss. Eine Bautreppe lädt zum Aufstieg ins dritte Geschoss. Die Belohnung: Begegnung mit populären Videofunden aus dem Internet, in denen humorige, makabere oder fundamentalistische Sequenzen einen Vorgeschmack auf die Ausstellungsthemen geben, zusammen mit ersten künstlerischen Beiträgen.

Raum 1: Die einzige Gewissheit

Die eigentliche Ausstellung präsentiert zu Beginn das absehbar endgültige Ende. Gewiss ist nämlich nur ein Weltuntergang. In rund zwei Milliarden Jahren wird es auf der Erde so heiss, dass alles Leben erlischt, und in viereinhalb Milliarden wird sich die Sonne zu einem Roten Riesen aufblähen und verbrennen. Dieses Ende evoziert eine eindrückliche Lichtinstallation, die von der Berliner Medienagentur TheGreenEyl geschaffen wurde; sie verwandelt den Raum in ein kompaktes Bild jenseits konkreter Erzählungen.

Raum 2: Der ständige Untergang

Im zweiten Raum geht es um die Omnipräsenz des Untergangs – in unseren Vorstellungen, Prophezeiungen und Hoffnungen, aus den Medien und Religionen. Hier wartet eine Fülle von Bildern und Audiodokumenten: Aus fünf Lautsprechern wird eine Montage von Endzeittexten eingespielt; später trifft das Tympanon vom Eingangsportal des Berner Münsters mit dem Jüngsten Gericht auf eine Theaterinszenierung der Johannes-Apokalypse oder auf eine Hollywood-Reise durch knapp vierzig Untergangs-Filme. In diesen Endzeitvisionen kommt der endgültige Untergang nur selten vor: Nach der Zerstörung des Bösen und Sündigen folgt zumeist eine neue, bessere Zeit. Eine Skulptur – «Souvenir from Hell» – von Jake und Dinos Chapman, eine Videoarbeit von Roberto Fassone und eine Echtzeit-Medienarbeit von Marc Lee liefern ironische Zuspitzungen. 

Raum 3: Die gefährdete Erde

Das Bild des blauen Planeten, der erst aus dem Weltraum fotografiert werden konnte, ist eine der wirksamsten Botschaften für die Verletzlichkeit der Erde. Deshalb handelt dieser Raum von realen Gefahren. Das sind kosmische und irdische Katastrophen wie Meteoriteneinschläge oder Vulkanausbrüche. Roman Signer lässt in einem künstlerischen Beitrag den Vulkan von Wörlitz ausbrechen. Für die Bedrohung aus dem All steht eines der vielen Objekte exemplarisch: ein Fenster aus Tschelijabinsk, wo sich in Russland vor vier Jahren der bisher am besten dokumentiere Meteoritenfall ereignet hat. Die grösste Gefährdung für den Menschen bleibt jedoch der Mensch selbst. Eine Metapher für die Selbstzerstörung durch Konsum bietet etwa das dänische Künstlerkollektiv Superflex, das – Sintflut heute! – eine McDonalds-Filiale unter Wasser setzt, während Julian Charrière mit seinem Film auf dem Bikini-Atoll, wo in den 1950er-Jahren eine Serie von Atombombentests durchgeführt wurde, bedeutsame Erinnerungsarbeit betreibt. Für die Spuren zum menschlichen Wirken auf der Erde stehen auch zwei weitere eindrückliche Objekte: zum einen das zwei Meter grosse, im 3D-Print-Verfahren hergestellte Skelett eines Industrie-Masthuhnes von Andreas Greiner (Hühnerknochen dokumentieren auf der ganzen Welt die Präsenz von Menschen) und zum andern ein Eisbohrkern aus Grönland, der nur dank aufwändiger Technik überhaupt ausgestellt werden kann. Untersuchungen solcher Eisschichten beweisen, dass der Gehalt an Kohlendioxid in den letzten Jahrzehnten steil nach oben geschossen ist – im Vergleich zu den 800 000 Jahren zuvor. Auch die Fotografien von Armin Linke oder die Globen von Ingo Günther erzählen von Veränderungen, die erst im genauen Hinsehen zu erfassen sind.

Raum 4: Das grosse Sterben

Im Laufe der Erdgeschichte lösten Naturkatastrophen schon mindestens fünf grosse Massenaussterben aus. Wahrscheinlich erleben wir derzeit das sechste, ausgelöst durch den Einfluss des Menschen. Nur eines von unzähligen Beispielen ist der Rotkopfwürger – ein Vogel, der noch vor zehn Jahren in unseren Gärten brütete. Weltweit verschwinden jährlich tausende von Arten – einigen davon geben die Aufnahmen von Joël Sartore eine Würde und ein Gesicht. Selbst die Anzahl der Fische, Amphibien, Vögel und Säugetiere geht massiv zurück; sie hat sich seit den 1970er-Jahren halbiert. Ein wandfüllender Animationsfilm schildert das Werden und Vergehen, das sich über Hunderte von Millionen Jahre hinzog. Die Projektion wird beobachtet von stummen Zeugen, zumeist Fossilien. Aber auch Menschen sterben, seit sie auf der Erde sind, unter katastrophalen Umständen. Ihre Städte kommen und vergehen – Camille Henrot zeigt es in einem imaginären Display an. Und Katie Paterson zeichnet eine Karte aller bereits verschwundenen Sterne.

Raum 5: Das fröhliche Leben

Die ständige Bedrohung sorgt nicht nur für Ängste. Sie befördert Trotz, Verdrängung, aber auch Kreativität. «Davon geht die Welt nicht unter» singt Zarah Leander zusammen mit einem Saal voller schunkelnder Nazi-Offiziere. Die Aussicht auf die Apokalypse generiert Visionen, Irrsinn, Musik, Fluchtpläne, Rettungsrezepte – und manchmal auch einfach Geld, wie im Falle der Luxusbunker, die in den USA an Endzeitflüchtlinge verkauft werden. Sich auf die Katastrophe vorzubereiten, kann einem Leben durchaus Sinn stiften –die vitale Prepper-Szene beweist es. Aber auch die Tierwelt reagiert auf veränderte Lebensbedingungen. Die Designerin Kathryn Fleming lässt sich von diesen Prozessen inspirieren; probeweise hat sie drei Tierarten geschaffen, die dank neuer Eigenschaften für eine zukünftige Welt gerüstet sind. Eine Welt, die im Film imaginiert werden muss, und der entfliehen kann, wer die Reise zum Mars auf sich nehmen mag, ensteht ausserhalb der Erde: die NASA lobt bereits Architekturwettbewerbe für Mars-Habitate aus.

Raum 6: Die taumelnde Welt

Immer wieder gerät das, was Menschen als ihre Welt empfinden, aus den Fugen. Weltuntergänge äussern sich in weit weniger drastischeren Form als im Ende des Lebens oder der Erde. Demenzkranken entgleitet ihre Wirklichkeit. Und wenn ein Herz zerbricht, kann auch eine Welt untergehen – die Objekte aus dem Museum of Broken Relationships sind Trümmer solcher Untergänge. Existentielle Verunsicherung greift um sich, in den Nadelstichen der Alltagsmeldungen zwischen Tiefsee, Drohnenbestäubung, Dystopien und Sehnsüchten ebenso wie im Trugbild des Sieges, den Elodie Pong von Lawinenschnee zudröhnen lässt. Batoul Shimis Weltgefässe wiederum demonstrieren in aller Stille den Druck, dem sie ausgesetzt sind, während die Flugversuche von Gino de Dominicis auf einem anrührend vergeblichen Bemühen beharren. Ein paar Schritte weiter lädt Bazon Brock zur philosophischen Rast: Apokalyptisches Denken, so sein Ratschlag, ist die unerlässliche Voraussetzung für jedes zielgerichtete Handeln.

Raum 7: Das offene Ende

Die Welt ist noch nicht untergegangen, das Ende ist offen. Die Ausstellung schliesst deshalb nicht mit einem Fazit, sondern mit einem künstlerischen Beitrag auf Zeit. Die Spielregel, die sich das Museum gegeben hat, ist einfach: Eine Künstlerin oder ein Künstler wurde eingeladen, für die Dauer eines Jahres den letzten Raum zu gestalten und damit einen spezifischen Schlusspunkt zu setzen. Auf diese Weise wurde «Weltuntergang» über die Jahre hinweg immer wieder vom Ende her neu kommentiert; der Umbau erfolgte jeweils vor den Augen des Publikums, bei geöffneter Ausstellung. Die Installation Fist Teeth Money von Beni Bischof eröffnete diese Reihe mit einem spektakulären Mix aus unterschiedlichsten Lebens- und Medienrealitäten. Nach Bischof hat das Künstlerduo huber.huber mit einer raumgreifenden Installation den letzten Raum der Ausstellung gestaltet. «Hello Darkness, my old friend» hat die Thematik der Vergänglichkeit aufgenommen. Alexandra Daisy Ginsberg, Christina Agapakis und Sissel Tolaas rekonstruierten schliesslich im Rahmen von «Resurrecting the Sublime» den Geruch einer ausgestorbenen Pflanze.

Die letzte Installation trug den Titel «The Substitute». Sie erweckte ein ausgestorbenes Tier zu neuem Leben. Ausschlaggebend für die Videoinstallation «The Substitute» der britisch-südafrikanischen Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg (* 1982) waren der Tod von Sudan, dem letzten männlichen Nördlichen Breitmaulnashorn im Jahr 2018, und die Bestrebungen, ausgerottete Tierarten mit Hilfe der Biotechnologie zurückzubringen. Auch Ginsberg erweckte das Nashorn für einen flüchtigen Moment wieder zum Leben: Eine lebensgrosse Projektion holte das mächtige Tier in den Ausstellungsraum – und führte uns neue Ausstellungsmöglichkeiten in naturhistorischen Museen vor Augen. Vor allem aber thematisierte «The Substitute» unsere Bemühungen, Lebensformen (wieder) zu schaffen, während täglich bestehende Tier- und Pflanzenarten ausgerottet werden und vor unseren Augen verschwinden.

 

Apocalypse TV

Apocalypse TV begleitet die Ausstellung «Weltuntergang – Ende ohne Ende». In regelmässigen Folgen beleuchtet der Online-Channel das vielfältige Thema. Reporter Lukas Landolt trifft Menschen, die was zu sagen haben. Und er spürt unserer Beziehung zum Untergang nach, mit allen Ängsten und all der Lust, die die Apokalypse auch macht.

Apocalypse TV begleitet die Ausstellung «Weltuntergang – Ende ohne Ende». In regelmässigen Folgen beleuchtet der Online-Channel das vielfältige Thema. NMBE/roja-films

Stimmen der Ausstellungsmacher

Martin Heller, Heller Enterprises

«Der Weltuntergang geht alle an. Eine Ausstellung zu dieser Thematik bewegt sich zwangsläufig und ständig zwischen High und Low. Sie wechselt locker von kultureller und wissenschaftlicher Reflexion zu alltäglichen, populären Wahrnehmungen. Und: Sie darf sich ungeniert mit Trash einlassen und muss doch ernsthaft sein. Etwas Schöneres kann einem als Ausstellungsmacher kaum passieren – der Weltuntergang als Lizenz für Rollenspiele der feinsinnigen wie der grobstofflichen Art.»

Julia Stoff, Heller Enterprises

«Die rund zwanzig künstlerischen Beiträge bringen unterschiedlichste Sichtweisen in die Ausstellung ein. Sie kommentieren die wissenschaftlichen Darstellungen, stellen sie in Frage, bestätigen, ironisieren oder ergänzen sie. Damit etablieren die Arbeiten eine zusätzliche Diskursebene, durch alle Räume hindurch bis hin zum offenen Ende. Die Vielfalt und Internationalität der künstlerischen Positionen belegt zudem eine existentielle Attraktivität des Themas.»

Frerk Froböse, Heller Enterprises (Projektleitung)

«Weltuntergang: das Wort klingt endgültig und definitiv. Dabei sind die möglichen Zugänge scheinbar endlos. Unsere Ausstellung begegnet diesem Ende ohne Ende, indem sie unterschiedliche und zuweilen widersprüchliche Positionen versammelt. Nicht nur natürliche und von Menschen verursachte Bedrohungen treffen aufeinander – auch harte Fakten und mutige Spekulationen, Angst und Hoffnung. Der Gewinn für das Publikum? Ein interdisziplinäres apokalyptisches Wechselbad in sieben Räumen.»

Tristan Kobler, Szenographie Holzer Kobler Architekturen

«Welche Architektur braucht der Weltuntergang? Vor allem geht es darum, den unkontrollierbaren Kräften, die sich jedem Gestaltungswillen widersetzen, eine starke Form zu geben. Zur Ausstellung steigen wir hoch, der Sonne entgegen. Ab da sind wir gefangen: in Räumen, die sich aus einer ganz eigenen – nur vermeintlich willkürlichen – Linienführung herauskristallisieren. Gelockt von einer Ästhetik der Reduktion und getrieben von den Inhalten finden wir unseren Weg bis zum sicheren Ende – der Ausstellung.»

Christoph Beer, Direktor Naturhistorisches Museum Bern

«Diese Ausstellung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Umsetzung unserer neuen Strategie, naturwissenschaftliche Aspekte mit jenen der Kulturwissenschaften, Kunst und Gesellschaft zu verbinden. Durch die innovativen Ausstellungskonzepte möchten wir das Berner Museum als national bedeutendstes Naturmuseum positionieren und über die Landesgrenzen hinaus bekannt machen. Mit einer multispektralen Betrachtungsweise der Ausstellungsthemen wollen wir einen grossen und erweiterten Publikumsfächer von vielseitig interessierten Besuchern ansprechen. Indem wir den Besucher mit relevanten Aktualitäten und eigenen Erfahrungen konfrontieren, möchten wir möglichst vielen die Tore zu einem tiefen und inspirierenden Themen- und Naturverständnis öffnen.»

Dora Strahm, Ausstellungskuratorin Naturhistorisches Museum Bern

«Weshalb macht ein Naturhistorisches Museum eine Ausstellung zum Weltuntergang? Weil es eine grossartige Geschichte ist, die berührt und umtreibt. Zudem ist der Weltuntergang jederzeit brandaktuell und schert sich um interdisziplinäre Grenzen: Er verknüpft virtuos Themen aus Wissenschaft und Kunst. Wir haben ihn furchtlos untersucht, aber nicht entzaubert – der Weltuntergang bleibt ein Mysterium.»

Beda Hofmann, Leiter Erdwissenschaften Naturhistorisches Museum Bern

«Asteroiden-Einschläge und nahe Supernovae sind möglich, aber wenig wahrscheinlich. Es ist wichtig, dass wir uns dieser Gefahren und damit der Fragilität unseres Daseins bewusst sind. Unsere Möglichkeiten, Megakatastrophen zu beeinflussen, sind jedoch sehr beschränkt. Wichtiger scheinen mir ein sorgsamer Umgang mit der Erde und der Schutz bedrohter Menschen in Erdbeben- und Vulkanzonen.»

Künstlerinnen und Künstler

Beni Bischof
*1976 in St. Gallen, lebt und arbeitet in St.Gallen und Widnau

Michele Bressan
*1980, lebt und arbeitet in Bukarest

Jake & Dinos Chapman
*1966 in Cheltenham und 1962 in London, leben und arbeiten in London

Julian Charrière
*1987 in Morges, lebt und arbeitet in Berlin

Chiu Chih
* in Taipei, lebt und arbeitet London und Shanghai

Gino de Dominicis
1947 in Ancona – 1998 in Rom

Roberto Fassone
* 1986 in Savigliano, lebt und arbeitet in Florenz

Omer Fast
*1972 in Jerusalem, lebt und arbeitet in Berlin

Andreas Greiner
*1979 in Aachen, lebt und arbeitet in Berlin

Ingo Günther
*1957 in Bad Eilsen, lebt und arbeitet in New York

Camille Henrot
*1978 in Paris, lebt und arbeitet in New York

Reto und Markus Huber *1975 in Münsterlingen, leben und arbeiten in Zürich

Marc Lee
*1969 in Knutwil, lebt und arbeitet in Eglisau

Armin Linke
*1966 in Mailand, lebt und arbeitet in Mailand und Berlin

Vladimir Nikolić
*1974 in Belgrad, lebt und arbeitet dort

Katie Paterson
*1981 in Glasgow, lebt und arbeitet in Berlin

Elodie Pong
*1966 in Boston, lebt und arbeitet in Zürich

Batoul Shimi
*1974 in Asilah, lebt und arbeitet in Tétouan

Roman Signer
*1938 in Appenzell, lebt und arbeitet in St. Gallen

Kasper Sonne
*1974 in Kopenhagen, lebt und arbeitet in New York

Superflex
gegründet 1993 von Bjørnstjerne Reuter Christiansen (*1969), Jakob Fenger (*1968), Rasmus Nielsen (*1969), leben und arbeiten in Kopenhagen